Die Ringsiedlung – Teil 2

Von unserer Guide Birgit

 

Teil II: Großsiedlung Siemensstadt

Ah, da sind Sie ja wieder. Bereit für den nächsten Teil der Reise durch Siemensstadt? Dann geht es los:

Im ersten Teil haben wir uns die Bauteile von Scharoun, Gropius und Häring angeschaut. Um zu Otto Bartning zu gelangen, müssen wir einfach nur die Straßenseite wechseln. Bevor Sie das tun, betrachten Sie doch das Gebäude einfach mal von dieser Seite aus. Ja, Bartning hat nur ein Haus errichtet, das aber gleich 25-mal. Schnell wurde dem Bau der Spitzname Langer Jammer verpasst. Später hieß es gar:

„Eine Monotonie, die heute wohl keinen Bauausschuss passieren würde.“

Bartning hatte den Zong erwischt. Ein langes, schmales Grundstück, parallel zur Bahntrasse und zu allem Überfluss musste er auch noch in Nord-Süd-Ausrichtung bauen. Nichts da mit Sonne zum Feierabend. Die Straßenseite geht nach Norden und hat praktisch überhaupt keine Sonne. Gehen wir ein Stückchen Richtung Osten. Bald kommt eine Durchfahrt, die nehmen wir. Dahinter öffnet sich eine Grünfläche, kleinere Flachbauten und die Bahntrasse. Wenn ihnen Menschen mit prall gefüllten Einkaufstaschen entgegenkommen, so liegt das daran, dass die Ringsiedlung inzwischen Anbindung an das U-Bahnnetz erhalten hat (Bahnhof Siemensdamm, U 7, eröffnet 1980, Architekt Rainer G. Rümmler, denkmalgeschützt) und mit dem U-Bahnbau ein Einkaufszentrum errichtet wurde.

Aber schauen wir uns doch bitte mal die Flachbauten rechts an. Es handelt sich immerhin um eines der ersten Berliner Fernheizwerke. Die rauchlose Stadt war das Ziel. Keine Kohleöfen oder dergleichen, sondern platzsparende Heizkörper standen in den Wohnungen (sie erinnern sich, Platz zu verschenken gab es nicht). Inzwischen ist es außer Betrieb und die Vermietungsgesellschaft hat ihr Büro hier eingerichtet. Direkt daneben befand sich das Waschhaus. Waschtag war sicher nur einmal im Monat, Waschen zudem Schwerarbeit. Die Wäsche musste eingeweicht, in großen Kesseln gekocht und dann mit verschiedenen Hilfsmitteln (z.B. Waschbrett) von Hand bearbeitet werden. Mindestens ebenso anstrengend, wie das Herauswuchten der nassen Wäsche aus den großen Kesseln war das anschließende Auswringen. Kein Wunder, dass man gemeinschaftlich wusch und sich gegenseitig half.   

Aber drehen sie sich um. Der Lange Jammer, diesmal die Südseite. Da hat sich Herr Bartning doch ganz gut ins Zeug gelegt und lebenswerten Wohnraum geschaffen. Man muss eben auch mal hinter die Fassade blicken. Nur von einem oft zitierten Satz müssen wir Abschied nehmen: nämlich, dass der Lange Jammer als Schallschutz gegen den Lärm der S-Bahn gebaut sei. Die kam nämlich gern im drei-Minuten-Takt (davon träumt heute so mancher) und fuhr zweigleisig.

Da nach Süden die Wohn- und Schlafräume liegen, kann von Ruhe wohl eher nicht die Rede sein. Die letzten drei Häuser sind etwas jünger, die Hat Hans Scharoun nach dem 2. Weltkrieg fast originalgetreu wiedererrichtet. Und die Grundstücke bis zur nächsten Kreuzung, die Bartning wegen damaliger Grundstücksstreitigkeiten nicht bebauen konnte, die hat Herr Scharoun gleich mitbebaut. Und nicht nur das: Östlich anschließend entstand von 1956 bis 1961 die zweite Erweiterung der Siemensstadt mit annähernd 4000 Wohnungen für 12.000 Menschen. Auch an dieser Planung war Scharoun maßgeblich mitbeteiligt. Um einer sich schnell einstellenden Monotonie entgegenzustellen, gruppierte er verschieden hohe und verschiedenartig zusammengesetzte Wohntrakte zu sogenannten Wohngehöften. Die individuelle Ausgestaltung und die Beschränkung auf jeweils 310 Wohneinheiten sollten den Bewohnern ein "Kiez-Gefühl" vermitteln. Die runden Fenster der Treppenhäuser verraten den Baumeister der Philharmonie.  

Auf der anderen Straßenseite geht es mit uns weiter: hier befindet sich die Infostation Siemensstadt in einem ehemaligen Ladengeschäft. So ähnlich hatte es Hugo Häring auch geplant. Dieses Gebäude wurde jedoch von Fred Forbát entworfen, wie auch die folgenden am Verlauf des Geißlerpfades bis zur Jungfernheide. Den weißen Put übernimmt er von Gropius und Bartning, die Ziegelverblendung bildet den Übergang zu Häring. Die Treppenaufgänge betonen die Vertikale. Am anderen Ende des Blocks hat er weitere Ladenlokale bauen lassen. Forbát bildet den Übergang. Nicht nur, dass hier der erste Bauabschnitt endet, Forbát konnte mit dem Brückenhaus dann im 2. Bauabschnitt gleich weiter machen, sondern besagter Brückenbau führt uns dann auch direkt in den Innenhof.

Zuvor wenden wir uns noch einmal um und betrachten den Goebenplatz auf der anderen Straßenseite. Eigentlich sollte nach Forbáts Plänen hier das dringend benötigte Einkaufszentrum entstehen. Daraus wurde jedoch nichts. Stattdessen blicken wir hier auf die Gebäude der ab 1936 von Hans Hertlein entworfene Wohnanlage, die sich mit ihren steilen Dächern und breiten Hauskörpern von der Zeilenbebauung der Großsiedlung absetzt. Flachdächer waren ja sowieso das Hassobjekt der Nazis bei den Wohnbauten. Nun konnte man aber schlecht die nagelneuen Häuser gleich wieder abreißen, also pflanzte man Pappeln. Die wuchsen schnell und verdeckten die ungeliebten Gebäude. Ähnlich verhielt es sich dann 20 Jahre später in der damals noch Stalinallee genannten Karl-Marx-Allee: auch hier pflanzte man Pappeln vor die „kapitalistischen Eierkisten“. Von der Straße aus betrachtet wirken die Zeilen nicht gerade aufregend, aber das kennen wir ja auch schon von Otto Bartning. Gehen wir also hindurch.

Nicht weit von hier, zwischen Daum- und Gartenfelder Straße befindet sich übrigens die Reichsforschungssiedlung. Geplant von Walter Gropius und Stephan Fischer, ausgeführt u.a. von Fred Forbát, Otto Bartning, Paul Emmerich und Paul Mebes.

Auf ein letztes Zusammenkommen treffen wir uns im dritten Teil!

Das sagt unser Guide Birgit über unsere Stadt & Ihre Führung:

Seit fast 15 Jahren führ ich Berliner*innen und Gäste durch die Stadt. Im Laufe der Zeit habe ich viele Ecken und Facetten kennen und lieben gelernt. Vom großen Schwung einer langen Stadtrundfahrt bis in die kleinen Kieze und verborgenen Ecken der Stadt ist eine gewaltige Spanne, die zu beherrschen große Freude bereitet. Bei den Kieztouren steht eine räumlich kleine, aber spannende Entdeckung bevor, bei historischen Touren wird eine besondere Epoche beleuchtet, Architekturführungen zeigen das Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Friedhöfe, Parks und Grünanlagen laden zum entspannten Hören in ruhiger Umgebung ein. Sie sehen, wie vielfältig mein Beruf ist und ahnen sicher, warum ich ihn liebe. Möglich wäre dies natürlich nicht ohne das „Objekt meiner Begierde“: die aufgeregte, unruhige, spannende, nervöse, abgeklärte, schnoddrige, liebevolle, coole und herzlichste Stadt der Welt. Mein Berlin!

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